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"Das Thema ist nicht vom Tisch"

Stimmen zur Biodiversität

Sabine Reinecke arbeitet seit 2023 als Politikanalystin am FiBL Schweiz im Departement für Agrar- und Ernährungssysteme. Zudem baut sie gerade in Baden-Württemberg mit ihrem Partner einen kleinen Obsthof mit Streuobst und Nüssen auf. Vor ihrer Arbeit am FiBL hat sie sich intensiv mit den Themen Natur-Restaurierung sowie Klima- und Biodiversitätspolitik in Bezug auf Wälder und integrierte Landnutzungssysteme beschäftigt.

Am 22. September 2024 haben die Schweizerinnen und Schweizer über die Biodiversitätsinitiative abgestimmt – und sie abgelehnt. Damit ist das Thema Biodiversität aber nicht vom "agrarpolitischen" Tisch. Dass die Gegner*innen der Initiative nun lautstark jubeln, zeigt eher wie "unglücklich" der Prozess verlief – denn gute demokratische Ergebnisse schmerzen alle ein bisschen. Es fehlte ein indirekter Gegenvorschlag, um jene abzuholen, denen die Initiative zu weit ging. Ein solcher Vorschlag des Bundesrates wurde im Ständerat zuvor abgelehnt. Die Gegner*innen haben im Abstimmungskampf auf unrühmliche Weise Ängste geschürt um den Verlust von 30 Prozent Fläche für Nahrung, Holz oder erneuerbare Energie. Das hat die Initiative jedoch nie gefordert.

Mit der Unterzeichnung der sogenannten Kunming-Montreal-Vereinbarung von 2022 hat sich die Schweiz international allerdings tatsächlich dem konkreten Ziel verpflichtet, 30 Prozent aller Flächen weltweit für die Biodiversität zu "sichern". Bei dem Teilabkommen zur Konvention für Biologische Vielfalt der Vereinten Nationen geht es zwar auch um die Schaffung von Schutzgebieten, einen grossen Stellenwert hat aber auch der Schutz der Biodiversität durch eine entsprechend angepasste Nutzung der Flächen.

Der vorgeschlagene Verfassungsartikel, über den nun abgestimmt wurde, ist unkonkret und lässt grossen Interpretationsspielraum was "schutzwürdig" ist. Mir fehlt die juristische "Findigkeit" der Gegner*innen, die damit andere verfassungsrechtlich klar geschützte Güter – wie Ernährungs- oder Energiesicherheit – ausgehebelt sehen. Fast ratlos möchte man fragen, warum Themen dieser Tragweite in einer passiven Volksabstimmung enden. Das "Nein" des Stimmvolks bedeutet nicht gesellschaftlicher Konsens und dass die Schweiz in Sachen Biodiversität schon zufriedenstellend liefert. Die Schweiz hat noch nicht alle Ziele des bestehenden Aktionsplans Biodiversität erreicht und die Biodiversität steht weiter unter Druck.

Diskurs mit allen Akteur*innen nötig

Das breite Bündnis aus Natur- und Heimatschutz, das die Biodiversitätsinitiative lanciert hatte, hoffte mit der thematischen Verknüpfung des natürlichen und kulturellen Erbes viele Bürger*innen mitzunehmen. Denn niemand kann doch ernsthaft gegen den Schutz von Kultur und Natur sein. Aber in der Sache geht es kaum um höhere Ziele wie den "Artenschutz", sondern um politische Deutungshoheit über das Wie, um Verantwortung, um Kosten – und wer beides trägt.

Wissenschaftliche Argumente zum unbestreitbaren Wert der Biodiversität werden die enorme ideologische "Aufladung" entlang der gesellschaftlichen Konfliktlinien schwer neutralisieren. Politik ist hingegen gelebter, produktiver Widerstreit und ihr Kerngeschäft der pragmatische Interessenausgleich. Dafür gehören alle relevanten Akteur*innen, auch jenseits der Umweltverbände und linken Parteien, an den Tisch, wie es Nationalrätin Jaqueline de Quattro – selbst Gegnerin der Initiative – nach dem "Nein" formuliert. Alle meint neben Naturschutz und Landwirtschaft auch die Lebensmittel-, Wasser- oder Baubranche. Gesamtsystemisch gedacht wäre auch ein Dialog mit Besitzer*innen von Schotter-Vorgärten oder Freigänger-Katzen notwendig.

Handlungsspielräume nutzen

Auch nach dem "Nein" zur Initiative gilt es, den Aktionsplan Biodiversität gemeinsam konsequent umzusetzen. Im bestehenden Rechts- und Förderrahmen besteht auch heute schon Handlungsspielraum für mehr Wertschätzung der Biodiversität und derer, die sie schützen. Eine Studie von FiBL und Schweizerischer Vogelwarte zeigt, wie motivierend mehr gesamtbetriebliche Hofberatung für mehr und hochwertigere Biodiversitätsflächen wirkt, ganz ohne Verbot (Link zur Studie und zur "Stimme zur Biodiversität" von Pascale Cornuz unten). Eine ziel- statt massnahmenorientierte Förderung – wie im Pilotprojekt ZiBiF, an dem das FiBL beteiligt ist –, die mehr Freiheit und weniger administrativem Aufwand erlaubt, "schmecken" auch vielen Landwirt*innen besser (siehe auch "Stimme zur Biodiversität" von Rebekka Frick).

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