Das Thema Kastration von männlichen Ferkeln wird immer wieder kontrovers zwischen Landwirten, Tierschützern und Politikern diskutiert. Die Kastration mit Betäubung und/oder Schmerzmitteln ist nur teilweise eine Verbesserung. Eine für den Ökolandbau interessante und tierfreundlichere Alternative stellt dagegen die Ebermast dar.
Die meisten männlichen Ferkel werden kurz nach der Geburt kastriert, da ihr Fleisch ab der Geschlechtsreife, also ab einem Alter von etwa fünf Monaten, erhöhte Werte an Androstenon und Skatol enthalten kann. Diese zwei Komponenten sind hauptsächlich verantwortlich für die Entstehung des typischen Ebergeruchs. Der Geruch entsteht nur bei Erhitzung des Fleischs beziehungsweise des Fettes und wird auch nicht von allen Personen wahrgenommen. Zudem "stinken" nicht alle Eber: Je nach Untersuchung, Bewertungsmethode und Schlachtgewicht liegt der Anteil zwischen unter einem und 35 Prozent (Malmfors und Lundström, 1983; Marty, 2011; Holinger et al., 2013).
Durch die vorhandenen Geschlechtshormone sind Eber aggressiver als kastrierte Tiere und zeigen mehr Sexualverhalten (Cronin et al., 2003; Holinger et al., 2013). Das kann unter Umständen zu mehr Unruhe im Stall und einer Einschränkung des Tierwohls führen. Doch das Mästen von Ebern bringt auch einige Vorteile mit sich: Es entfällt die Arbeitszeit beim Kastrieren, die Eber zeigen eine bessere Futterverwertung und ihre Schlachtkörper enthalten größere Magerfleischanteile (Xue et al., 1997). Im Vergleich zu anderen Methoden wie Kastration – mit oder ohne Narkose – oder Immunokastration ist die Ebermast mit Sicherheit die tierfreundlichste Methode und damit prädestiniert für den Biolandbau.
Die Forschung hat nun die Aufgabe, Wege zu finden, die Geruchsentwicklung der Eber über Zucht, Fütterung und Haltung zu reduzieren. Gleichzeitig sollen geruchsauffällige Schlachtkörper sicher erkannt und sinnvoll verarbeitet werden können. In der Forschung zur konventionellen Schweinehaltung wird derzeit viel Wissen zur Ebermast generiert. Eberhaltung im Ökolandbau unterscheidet sich aber von der konventionellen Ebermast in einigen entscheidenden Punkten wie Fütterung, Platzangebot, Beschäftigung und teilweise Mastdauer. Möglicherweise ist die Ebermast unter Biobedingungen sogar schwieriger umzusetzen. Deshalb ist es wichtig, dass die Forschung sich intensiv mit dem Thema auseinandersetzt und den Produzenten bald weitere Lösungen anbietet.
Im Dezember 2010 vereinbarten 18 große Branchenverbände aus dem Bereich der EU-Landwirtschaft und -Lebensmittelverarbeitung sowie Tierschutzorganisationen, ab 2018 keine männlichen Ferkel mehr zu kastrieren, und hielten dies in der sogenannten Brüsseler Deklaration fest (Anonym, 2010). Die Vereinbarung basiert bislang auf Freiwilligkeit, die Bestrebungen werden aber von der Europäischen Kommission unterstützt. Die Vereinbarung verlangt aber auch etliche Voraussetzungen, die bis zu einer tatsächlichen Umsetzung erfüllt sein müssen. Zum Beispiel müssen Methoden zur Geruchserkennung oder auch Empfehlungen zu Haltung, Transport und Schlachtung von Ebern zur Verfügung stehen.
Die Ebermast ist nichts Revolutionäres – vor allem in Irland, Großbritannien und Portugal ist Fleisch von intakten Ebern der Normalfall. Auch in den südeuropäischen Ländern hat die Ebermast eine lange Tradition. Genauso traditionell sind die Rohfleischprodukte, wie etwa die berühmten luftgetrockneten Schinken, die ohne ein Erhitzen auch nicht stinken. Darüber hinaus gibt es offenbar Unterschiede in der Wahrnehmung und Beurteilung des Ebergeruchs zwischen verschiedenen Ländern. In Großbritannien beispielsweise ist die Ablehnung gegenüber Androstenon niedriger als in anderen Ländern (Blanch et al., 2012).
In Deutschland drängen die Verarbeiter teilweise zu Ebermast: Im Mai 2012 verkündeten drei grosse Schlachtunternehmen, dass sie künftig die Abnahme von angelieferten Ebern garantieren. Die betäubungslose Kastration ist im konventionellen Bereich aber mindestens bis Ende 2018 erlaubt. Bei den Bioverbänden gibt es Unterschiede in der Vorgehensweise: Produzenten von Bioland sind verpflichtet, die Kastration mit Schmerzmitteln und unter Narkose durchzuführen. Bei Naturland werden Betäubungsmittel und/oder Schmerzmittel gefordert. In Österreich haben sich der Verband der Schweinebauern sowie Bio Austria freiwillig zur Nutzung von Schmerzmitteln verpflichtet. In der Schweiz darf die Kastration seit 2010 generell, also auch konventionell, nur noch unter Betäubung und mit Verabreichung eines Schmerzmittels durchgeführt werden. Nach Abschluss eines Kurses dürfen Tierhalter selbst mit einem Inhalationsnarkosegerät mit Isofluran arbeiten. Die Abgabe des Isofluran-Betäubungsmittels an die Tierhalter ist in Deutschland und Österreich nicht möglich. Dies ist sicher auch ein Grund, warum sich die Inhalationsnarkose in der Schweiz besser durchsetzt als in anderen Ländern.
Die Erblichkeit für Androstenon und Skatol im Fett ist verhältnismässig hoch: Je nach Studie wird die Erblichkeit für Androstenon auf circa 0,6 und diejenige für Skatol auf 0,4 geschätzt (Frieden et al., 2011). Somit dürfte ein züchterischer Ansatz durchaus erfolgsversprechend sein. Entgegen verbreiteter Befürchtungen reduziert eine Selektion gegen Ebergeruch die Fruchtbarkeit nur leicht (Baes et al., 2011; Frieden et al., 2011). Einige Zuchtverbände in Deutschland und der Schweiz bieten bereits Sperma von Tieren an, deren Nachkommen weniger stinken sollen.
Aber auch die aktuell genutzten Rassen unterscheiden sich zum Teil deutlich hinsichtlich der Bildung der beiden Komponenten, die den Ebergeruch verursachen. Während zum Beispiel nur etwa fünf bis acht Prozent der Hampshire- oder Landrassen-Eber erhöhte Androstenonwerte aufweisen, sind es bei den Duroc-Ebern bis zu 50 Prozent (Squires, 2006). Bezüglich Ebergeruch ist es von Vorteil, wenn die Tiere schnell – und damit noch vor der Geschlechtsreife – schlachtreif sind. Das Alter scheint dabei entscheidender zu sein als das Gewicht (Zamaratskaia et al., 2005). Langsam wachsende und damit robustere Rassen sind hier möglicherweise im Nachteil.
Auf Biobetrieben wird zwar meistens konventionelle Genetik eingesetzt, durch Einschränkungen bei Futterkomponenten kann aber nicht ebenso intensiv wie bei konventioneller Haltung gemästet werden.
Über die Fütterung kann insbesondere der Skatolgehalt im Eberfett beeinflusst werden. Skatol ist ein Abbauprodukt der Aminosäure Tryptophan und wird im Darm gebildet. Eber weisen höhere Skatolgehalte im Fett auf, da sie das Skatol schlechter abbauen als Weibchen oder Kastraten (Doran et al., 2002).
Eine Möglichkeit, die Skatolproduktion zu beeinflussen, ist die Gabe von speziellen Futtermitteln. Verschiedene Studien untersuchten die Wirkung von roher Kartoffelstärke, Chicoréewurzeln oder Topinambur (Jensen und Hansen, 2006; Vhile et al., 2012; Zamaratskaia et al., 2005). Die meisten Resultate liegen zu Chicoréewurzeln vor. So konnte die Verfütterung von rohen oder getrockneten Biochicoréewurzeln den Skatolgehalt im Fett auf fast Null reduzieren (Hansen et al., 2006).
Um die bessere Futterverwertung und das Leistungspotenzial der Eber nutzen zu können, muss das Futter hohe Proteingehalte und vor allem hohe Lysingehalte aufweisen, wie Versuche aus der Praxis zeigen (Meyer, 2011). Da gewisse Aminosäuren im Biolandbau schwer verfügbar sind, könnte dies eine zusätzliche Herausforderung darstellen.
Eber sind aktiver und aggressiver als Kastraten oder weibliche Tiere, was Konsequenzen in der Haltung nach sich zieht. Vor allem zeigen sie oft das „Aufreiteverhalten“. Dadurch entstehen mehr Verletzungen, insbesondere Lahmheiten (Rydhmer et al., 2006). Die Aggressivität und Verletzungsanfälligkeit der Eber nimmt gegen Ende der Mast ab, bis sie sich bei einem Lebendgewicht von 115 Kilo nicht mehr von Kastraten oder Weibchen unterscheiden (dies.). Ausreichend Platz ermöglicht den rangtieferen Ebern bei Auseinandersetzungen auszuweichen. Das grössere Platzangebot in der Bioschweinehaltung kommt den Ebern also entgegen. Darüber hinaus ist möglicherweise auch das Anbieten von Beschäftigungsmaterial oder Weide vorteilhaft, da dies einen ablenkenden Effekt hat.
Bezüglich Gruppenzusammensetzung hat sich deutlich gezeigt, dass möglichst wenig umgruppiert werden sollte (Fredriksen et al., 2006). Die Ideallösung wären Geschwistergruppen, die vom Absetzen bis zur Schlachtung stabil zusammenbleiben.
In Geschwistergruppen bilden die Eber weniger Androstenon, was möglicherweise durch eine verzögerte Pubertät erklärt werden kann (Fredriksen et al., 2008). Allerdings sind Geschwistergruppen wegen der Grösse und den Gewichtsunterschieden kaum praxistauglich.
Über die Frage, ob Eber zusammen mit Weibchen gehalten werden sollen oder getrennt von diesen, wird sehr kontrovers diskutiert. Deshalb wurde am FiBL 2012-2013 ein Praxisversuch durchgeführt, der zeigen sollte, welche Gruppenzusammensetzung sich unter Biobedingungen besser eignet. Obwohl sich die Eber ähnlich verhalten haben, unabhängig davon, ob sie mit weiblichen Tieren oder ohne aufgestallt waren, hatten die Eber in den reinen Ebergruppen etwas mehr Hautverletzungen (Holinger et al., 2013). Allerdings wurden nur oberflächliche Hautkratzer beobachtet und keine tiefen Wunden, wie sie von anderen Autoren beschrieben worden waren. Trächtigkeiten bei den Weibchen konnten keine festgestellt werden. Und auch der Ebergeruch bzw. die Geruchskomponenten Androstenon und Skatol waren von der Gruppenzusammensetzung nicht beeinflusst. Für eine geschlechtergetrennte Mast spricht hingegen die Möglichkeit für eine gezielte Fütterung.
Ein Video zum Projekt finden Sie hier.
Die grösste Herausforderung der Ebermast ist wohl die sichere Erkennung von "Stinkern" am Schlachtband. Die Suche nach der sogenannten elektronischen Nase war bisher erfolglos, der Ebergeruch scheint dafür zu komplex zu sein. Also stehen heute in den grossen deutschen Schlachthöfen speziell ausgebildete Personen, die kurz an erhitzten Fettproben der Schlachtkörper riechen und über Geruch oder Nichtgeruch entscheiden (Marty, 2011). Die nächste Hürde nach der Erkennung von geruchsauffälligen Ebern ist deren Verarbeitung. Geruchsauffällige Schlachtkörper können in diesen Unternehmen dank der großen Kapazitäten separat zu Rohesswaren verarbeitet werden. In Grossbritannien und Spanien, wo die Ebermast seit Langem etabliert ist, werden gar keine Kochproben gemacht. Dort wird alles Fleisch gemeinsam als Frischfleisch verkauft oder verarbeitet (Stoll, 2002). Oft wird geruchsbelastetes Fleisch mit unauffälligem Fleisch in Verarbeitungsprodukten verdünnt. Vor allem für kleinere verarbeitende Betriebe ist es aber schwierig, für geruchsbelastete Schlachtkörper eine separate Verarbeitungsschiene zu fahren.