Martin Bossard arbeitet seit 2009 als Leiter Politik bei Bio Suisse, dem Dachverband der Schweizer Biobäuerinnen und -bauern, Ende des Monats wird er pensioniert. Für die Landwirtschaft wird er sich weiterhin politisch engagieren, unter anderem als Co-Präsident des Vereins für gentechnikfreie Lebensmittel.
Im Abstimmungskampf um die Biodiversitätsinitiative, über die die Schweizerinnen und Schweizer am 22. September abgestimmt haben, wurden Produktion und Biodiversität einander gegenübergestellt, wie steht es um deren Vereinbarkeit?
Ohne Rücksicht auf unsere wildlebenden Tiere und Pflanzen gibt es langfristig keine Produktion. Darum setzt sich Bio Suisse immer für "Brot und Blumen" ein.
Die Abstimmungskämpfe in der Schweiz rund um Initiativen reduzieren die Komplexität eines Themas auf wenige Schlagworte, erwies man damit der Biodiversität einen Bärendienst?
Ja. Schon dass man über die abstrakte "Biodiversität" spricht und nicht über die wilden Tiere, Pflanzen und andere Lebewesen und ihre Rechte, ist eine unzulässige Verkürzung. Im Übrigen sagt uns die Wissenschaft, dass ein Massenaussterben stattfindet. Die Dringlichkeit ist ähnlich wie beim Klimawandel, aber der federführende Bauernverband will nicht darüber sprechen.
Erleben Sie hier verhärtete Fronten?
Ja, es ist schwer erträglich.
Die Biodiversitätsinitiative erhielt auch einen Abschnitt zu Ortsbildern und Kulturdenkmälern, war das nicht zu viel des Guten?
Das Parlament hat leider die Chance verpasst, mit einem Gegenvorschlag den Fokus korrekt zu setzen, sodass die Initiative hätte zurückgezogen werden können. Der Nationalrat war mit grossen Mehrheiten dafür, der Ständerat unter dem Druck des Bauernverbands dagegen. Der von der Initiative vorgeschlagene neue Artikel 78a verstärkt die bestehenden Verfassungsaufträge in Artikel 78, weil viele zuständige Kantone seit Jahren die Umsetzung zögerlich vorantreiben. Insofern ist die innere Logik klar. Allerdings wäre es für den Abstimmungskampf klüger gewesen, wenn sich die Initiative nur mit dem Thema Biodiversität befasst hätte.
Die 3,5 Prozent BFF (Biodiversitätsförderflächen) auf Ackerflächen wurden vom Parlament bereits begraben. Besteht die Gefahr, dass nach dem Nein vom Sonntag die Biodiversitätsfördermassnahmen des Bundes noch weiter zurückgeschraubt werden?
Ja, das könnte leider eine Folge davon sein.
Wie geht es bei Bio Suisse nach der Abstimmung weiter mit der Biodiversität? Gibt es Pläne für eine zukünftige Weiterentwicklung in diesem Bereich?
Biobetriebe leisten bereits überdurchschnittlich viel und können die Leistung mit den bestehenden Massnahmen ausbauen und von Direktzahlungen profitieren. Die Knospe-Regelungen (Knospe = Label von Bio Suisse, Anm. d. Redaktion) gelten ja weiterhin, und die Betriebe können freiwillig auch deutlich mehr machen als die zwölf obligatorischen Massnahmen der Richtlinien. Entscheidend für den Erfolg sind Vernetzung, bäuerliches Können und Beratung.
Seit den Agrarinitiativen kommen kaum mehr Kompromisse in Form von Gegenvorschlägen zustande – hat das Instrument der Initiative ausgedient?
Nein. Es muss wieder möglich werden, Kompromisse auszuhandeln. Der Bauernverband hat in der Vergangenheit schon mehrfach erfahren müssen, dass ihn das Volk wieder in die Schranken weist, wenn er zu dominant und rücksichtslos wird. Das kann schon bald der Fall sein, wenn es um Gentechnik geht. Bio Suisse unterstützt massgeblich die neue Volksinitiative "Für gentechnikfreie Lebensmittel (Lebensmittelschutz-Initiative)".
Apropos Lebensmittelschutz-Initiative – Sie sind Co-Präsident des Vereins für gentechnikfreie Lebensmittel, der die Initiative lanciert hat. Wieso greift man hier zu diesem Mittel?
Weil es für einen groben Klotz einen groben Keil braucht. Die Agroindustrie-Lobby um Syngenta und Bayer spielt momentan ihre volle Macht im Parlament aus, und der zuständige Bundesrat nutzt sämtliche politischen Tricks, wie er gerade eben wieder mit seiner Kehrtwende beim Neubau von AKWs bewiesen hat. Darum müssen wir in diesem Fall das Volk zu Hilfe rufen, damit wir nicht in Kürze mit gentechnisch veränderten Lebensmitteln zwangsernährt werden.
Interview: Corinne Obrist, FiBL