Jolanda Krummenacher ist Umwelt- und Agrarwissenschafterin ETH, arbeitet seit 16 Jahren bei der Agrofutura AG und berät Landwirtinnen und Landwirte zur Biodiversitätsförderung auf ihrem Betrieb. Sie hat zusammen mit dem FiBL und Agridea den Lehrgang Biodiversitätsberatung ins Leben gerufen – die erste Ausbildung zur Fachperson Biodiversitätsberatung in der Landwirtschaft.
Jährlich werden in der Schweiz über 400 Millionen Franken für die Biodiversitätsförderung in der Landwirtschaft ausgegeben. Die für die Biodiversitätsbeiträge festgelegten Etappenziele der Agrarpolitik sind vollumfänglich erfüllt oder übertroffen. Zudem sind mittlerweile 19 Prozent der landwirtschaftlichen Nutzfläche als Biodiversitätsförderflächen (BFF) ausgewiesen. Aber konnte damit die Biodiversität im Kulturland erhalten werden?
Die Rote Liste gefährdeter Lebensräume der Schweiz zeigt, dass 43 Prozent der Wiesen- und Weidetypen sowie 64 Prozent der Lebensraumtypen in landwirtschaftlichen Kulturen bedroht sind. Rund die Hälfte der Lebensraumtypen im Kulturland ist somit nach wie vor gefährdet.
Die meisten bedrohten Pflanzenarten wachsen in seltenen Lebensräumen wie Gewässern, Mooren und Trockenwiesen oder kamen früher in Äckern und Weinbergen vor, die ihnen heute keinen Lebensraum mehr bieten. Ihre Gefährdungssituation hat sich in den letzten Jahren weiter verschlechtert. Dagegen sind Arten, die sich in heute häufigen Lebensräumen wohlfühlen, zahlreicher geworden. Dazu gehören Raygras, Weissklee, Saatkrähen und Rotmilane.
Es sind die seltenen Lebensräume, die viele Arten beherbergen, während die heute häufigen Lebensräume eher artenarm sind. Die Gesamtbiodiversität nimmt deshalb weiter ab. Denn mit dem Verschwinden von Pflanzenarten verschwinden auch Tierarten, die diese Pflanzen brauchen. In der Schweiz sind 60 Prozent der Insektenarten gefährdet, besonders im Landwirtschaftsgebiet. Dadurch verlieren viele Tiere ihre Nahrungsgrundlage. Der Bestand von insektenfressenden Vögeln im Kulturland ist in 30 Jahren um 60 Prozent gesunken.
Damit Arten nicht aussterben, müssen sie eine ausreichende genetische Vielfalt aufweisen, was nur in genügend grossen Populationen sichergestellt ist. Kleine Lebensräume führen zu kleinen Populationen und erhöhen damit das Aussterberisiko der Arten, selbst bei optimaler Bewirtschaftung. Viele Pflanzenarten der Roten Liste sind genau deshalb gefährdet.
Wir haben heute zwar einen relativ grossen Anteil an BFF. Leider liegen sie aber oft am falschen Ort, haben nur eine geringe Lebensraum- oder Artenvielfalt oder sind ungenügend miteinander vernetzt, wodurch viele Populationen zu klein sind.
Um die Biodiversität zu erhalten und zu fördern, ist es wichtig, die Lebensraumvielfalt in den Regionen und den Artenreichtum auf den Flächen zu steigern. Zudem müssen auch seltene Lebensräume und Arten gezielt gefördert werden. Die Lebensräume müssen gross genug oder gut vernetzt sein. Der von Agroscope 2013 im Auftrag des Bundes erstellte OPAL-Bericht (OPAL steht für Operationalisierung der Umweltziele Landwirtschaft: Bereich Ziel- und Leitarten, Lebensräume) liefert dazu eine Anleitung. Er definiert wissenschaftlich fundierte Ziele, deren Umsetzung entscheidend ist für den Erhalt und die Förderung der Biodiversität in der Landwirtschaft – und die heute bei weitem noch nicht erreicht sind.
Biodiversitätsberatungen sind heute meist eher administrativer Natur. Bezüglich der Bewirtschaftung von Flächen werden oft nur die Vorgaben der Direktzahlungsverordnung (DZV) erklärt, ohne Ziele zu definieren. Dabei wäre es möglich, im bestehenden agrarpolitischen System mit gesamtbetrieblicher Biodiversitätsberatung die Biodiversität wirksam zu fördern. Dafür ist es nötig, dass eine Fachperson Biodiversitätsberatung alle Flächen des Betriebs anschaut und in der Lage ist, flächenspezifische Tipps zur Förderung der Biodiversität zu geben. Mit jeder einzelnen Fläche kann mit den passenden Bewirtschaftungsmassnahmen ein Biodiversitätsziel angestrebt werden. Neben fundierten agronomischen und ökologischen Kenntnissen muss die Beratungsperson dafür die wissenschaftlichen Ziele des OPAL-Berichts berücksichtigen und mit hoher Sozialkompetenz die Betriebe unterstützen und motivieren, diese Ziele so gut wie möglich zu erreichen. Dieses Vorgehen steigert nachweislich die Qualität und Quantität der BFF und verbessert die Wirkung der Biodiversitätsbeiträge.