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"Beides berücksichtigen – Flächen und Stoffflüsse"

Stimmen zur Biodiversität

Bettina Dyttrich ist Redaktorin der Wochenzeitung WOZ und beschäftigt sich dort vor allem mit Ökologie, Landwirtschaft und Gesellschaftspolitik. Daneben schreibt sie Sachbücher und literarische Texte. Seit langem begleitet Bettina Dyttrich die Bewegung für eine solidarische Landwirtschaft. 2015 hat sie das Buch "Gemeinsam auf dem Acker. Solidarische Landwirtschaft in der Schweiz" veröffentlicht.

Meine Mutter war ein Bauernkind. Von ihr lernte ich die Pflanzen der Umgebung. Welche Beeren gut sind. Dass man Sauerklee essen kann. Dank ihr verstand ich schon als Kind, wie radikal sich die Landwirtschaft in wenigen Jahrzehnten verändert hatte. Ich musste nur den Hof meines Onkels – Eternit, Beton und ein grosser Teerplatz – oder die mit Klärschlamm verklebte Wiese vor der Tür mit dem vergleichen, was sie erzählte: von Pferdewagen, Knechten und Mägden, Margeriten auf den Wiesen.

Mein Vater kam aus der Grossstadt. In der Schweiz entdeckte er seine Leidenschaft für Pflanzen und arbeitete sich so gründlich ein, dass er später Feldbotanik-Kurse leitete. Von ihm lernte ich Alpenblumen bestimmen und Bergwanderungen planen. Und wahrscheinlich lernte ich auch schon als Kind, dass sich der landwirtschaftliche und der Naturschutzblick stark unterscheiden. Der eine fragt: Was lässt sich hier anbauen? Der andere fragt: Welche seltenen Arten leben hier?

Das bäuerliche Verhältnis zu Wildpflanzen und -tieren war nie harmonisch: Sie sind Konkurrent*innen, können die Ernte bedrohen. Trotzdem fand bis Mitte des 20. Jahrhunderts, bis zum grossen Umbruch, den meine Mutter miterlebte, auch eine grosse Vielfalt an wilden Arten in der Kulturlandschaft Platz. Erst mit Pestiziden, Kunstdünger, exzessivem Futtermittelimport und Maschinen, die die Landschaft grossflächig ausräumen, konnte die Landwirtschaft wirklich Schaden an der Biodiversität anrichten – im In- und Ausland.

Biodiversitätsschäden ausgelagert

Der Naturschutzblick ist unvollständig. Er konzentriert sich auf die sichtbaren Flächen. Das ist verständlich: Biodiversität braucht Landschaft, Arten leben an einem konkreten Ort – oder eben nicht. Aber ein grosser Teil der Ressourcenflüsse ist unsichtbar geworden: Fossile Energieträger und Futtermittel – also auch Düngerkalorien – und ein grosser Teil der Konsumgüter werden importiert. Laut Bundesamt für Umwelt finden heute 70 Prozent der Biodiversitätsschäden, für die die Schweiz verantwortlich ist, im Ausland statt. Wir könnten diese Zahl noch steigern, wenn wir die ganze Schweiz unter Naturschutz stellen und fast alle Lebensmittel importieren würden – reich genug wären wir. Aber wenn sich das Konsumverhalten sonst nicht verändern würde, sähe die Ökobilanz nur auf den ersten Blick gut aus: wenn man nur die Schweiz anschaut und den Rest der Welt ausblendet.

Genauso unvollständig ist allerdings der Blick der "produzierenden Landwirt*innen". Sie sprechen zwar gern von einem hohen Selbstversorgungsgrad und Unabhängigkeit vom Ausland. Aber sie verdrängen, wie stark ihre Produktionsweise von importierten Inputs abhängig ist: von fossiler Energie und Dünger, Futter und Pestiziden, Torf, Setzlingen und Hühnergenetik. Die "produzierende Landwirtschaft" mit ihren ausgeräumten Landschaften und ihrer viel zu hohen Tierproduktion ist selbst ein Produkt der Konsumgesellschaft: Bauern und Bäuerinnen in vorfossiler Zeit hätten den Kopf geschüttelt über so viel Ressourcenverschwendung.

Gesamtheit betrachten

Wer wirklich etwas für die Biodiversität tun will, muss beides berücksichtigen: die Flächen und die Stoffflüsse. Die Schweiz und die Importe. Hecken pflanzen, artenreiches Grünland, Krautsäume und Feuchtgebiete pflegen: Das ist alles wichtig. Genauso wichtig ist es aber, Verschwendung zu vermeiden und Transporte, den Verbrauch fossiler Energie, den Fleischkonsum und umweltschädigende Importe radikal zu reduzieren – denn das alles schadet der Biodiversität auch, einfach weniger sichtbar. 

Es kann also nur in Richtung Kreislaufwirtschaft gehen. Und dafür sind Biobäuerinnen und -bauern Expert*innen. Sie sehen täglich beides: die Landschaft und die Ressourcen. Die Wiesen, die Felder, die Bäume; das Wasser, den Diesel, das Saatgut, den Mist. Sie sehen deutlicher als die meisten anderen, wie das alles zusammenhängt.

Weitere Informationen

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Buch zu solidarischer Landwirtschaft

rotpunktverlag.ch: Gemeinsam auf dem Acker