Anne Challandes ist Bäuerin und Juristin, präsidiert seit gut fünf Jahren den Schweizerischen Bäuerinnen- und Landfrauenverband und sitzt seit gut drei Jahren im Stiftungsrat des FiBL Schweiz. Gemeinsam mit ihrem Mann bewirtschaftet sie einen Biobetrieb im Neuenburger Jura. Sie hat sich im Abstimmungskampf gegen die Biodiversitätsinitiative, über die die Schweizer*innen diesen Herbst abgestimmt haben, eingesetzt und begründet hier, weshalb sie diesen Stellungsbezug nicht als Stimme gegen Biodiversität verstanden haben will.
Die biologische Vielfalt ist für die Landwirtschaft von grösster Bedeutung. Dieser Grundsatz wird von allen akzeptiert. Das Nein zur Biodiversitätsinitiative war deshalb kein Nein zur Biodiversität selbst. Die Schweizer Bauernfamilien widmen bereits heute 19 Prozent der Flächen ihrer Betriebe der Biodiversität, was weit über dem gesetzlichen Minimum von 7 Prozent liegt.
Ein Grossteil dieser Flächen weist eine hohe Biodiversitätsqualität auf und 80 Prozent befinden sich bereits in Vernetzungsprojekten. Hinzu kommen noch über 200 000 Hektaren artenreiches Grünland in den Sömmerungsgebieten. Zur Biodiversität gehört auch der Anbau von vielen verschiedenen Pflanzenarten, die Haltung von verschiedenen Tierrassen und der Anbau von verschiedenen Sorten, zum Beispiel beim Weizen oder bei Kartoffeln. Dank dieser genetischen Vielfalt ist die Nahrungsmittelproduktion widerstandsfähiger gegenüber klimatischen Einflüssen, neuen Schädlingen und Krankheiten.
Neben diesen Überlegungen, die auf den landwirtschaftlichen Realitäten beruhen, teile ich gerne auch eine Überlegung einer Juristin zur Biodiversitätsinitiative, nämlich dass die Bundesverfassung der Gründungsakt unseres Landes ist (mit dem Instrument der Volksinitiative wird in der Schweiz über die Aufnahme einer neuen Bestimmung in die Bundesverfassung abgestimmt, Anm. d. Red.). Sie ist – oder sollte es sein – ein Text, der nur Grundsätze und Leitlinien festlegt, die dann in den Bundesgesetzen und bis ins letzte Detail in den Ausführungsverordnungen definiert werden. Der Schutz der natürlichen Ressourcen und damit auch der Biodiversität ist jedoch bereits in der Bundesverfassung verankert. Verschiedene Gesetze, eine nationale Strategie und ein nationaler Aktionsplan ergänzen sie. Wenn es Lücken gibt, müssen diese bei der Umsetzung gefunden und behoben werden.
Denn Biodiversität geht uns alle an und hört nicht an der Feldgrenze auf. Sie sollte auch ein integraler Bestandteil der Infrastruktur und des Siedlungsraums sein. Sie würde dort viele positive Elemente einbringen, auch im Kampf gegen Hitzeinseln und zur Annäherung der städtischen Bevölkerung an die Natur. Auch hier gibt es noch viel zu tun. Es reicht nicht aus, einfach nur die Hände in den Schoss zu legen und einzig der Landwirtschaft die Verantwortung zu geben. Sie spielt zwar eine wichtige Rolle, kann die Biodiversität aber nicht im Alleingang retten.
Auf Anraten von Biolog*innen und anderen Fachleuten beteiligt sich die Landwirtschaft bereits aktiv. Ausserdem haben sich die bäuerlichen Exponent*innen bereit erklärt, weitere Verbesserungen auf den bereits der Biodiversität gewidmeten Flächen vorzunehmen. Dazu ist es notwendig, effektive, zielgerichtete Massnahmen zu bestimmen, die den lokalen Bedingungen und Bedürfnissen, aber auch den Möglichkeiten angepasst sind. Es ist wichtig, Massnahmen zu definieren, die realistisch sind und keine neuen Zielkonflikte schaffen.
Schliesslich stelle ich mir Fragen zu den zahlreichen Zielkonflikten, deren Lösung allein den Bauernfamilien überlassen wird. Dabei geht es nicht nur um solche, die sich beispielsweise zwischen Umweltschutz (Emissionen) und Tierschutz (regelmässiger Auslauf) ergeben. Sie können sich auch spezifisch im Bereich Biodiversitätsschutz zeigen: Sind zum Beispiel alle vorgeschlagenen oder sogar vorgeschriebenen Massnahmen wirklich frei von unerwünschten "Nebenwirkungen"? Sind sie überall auf die gleiche Weise durchführbar und bringen sie überall die gleichen positiven Auswirkungen mit sich? Sind sie kohärent?
Wie ich häufig sage: "Landwirtschaft ist komplex". Aus meiner Sicht zu komplex, um Platz für Ideologie und praxisferne Anordnungen zu lassen. Durch seine direkte Verbindung zur Praxis und seine stark praxisorientierte Forschung ist das FiBL ein idealer Ansprechpartner, um Lösungen zu finden – nicht nur für dieses Thema, sondern für alle anderen, die mit den zahlreichen Herausforderungen der landwirtschaftlichen Produktion zusammenhängen. Und zwar im Sinne einer angewandten und gelebten Nachhaltigkeit, von der alle profitieren, vor allem aber auch die Bauernfamilien. Es geht um den Erhalt einer nachhaltigen Landwirtschaft und eines nachhaltigen Ernährungssystems in unserem Land.