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"Die Zukunft des ukrainischen Biomarktes steht auf dem Spiel"

Fünf Menschen vor einem Plakat.

Toralf Richter (2. v. l.) und Nicolas Lefevbre (3. v. l.) zu Besuch bei den langjährigen Projekt­parter*innen der Firma Galeks Agro mit Oleksandr Yushchenko (r.), Olena Stretovych (2. v. r.) und einem weiteren Mitarbeitenden von Galeks Agro. (Foto: FiBL)

Nicolas Lefebvre ist im vergangenen Dezember zusammen mit seinem Kollegen Toralf Richter in die Ukraine gereist. Im Rahmen des Projekts QFTP (Quality Food Trade Program in Ukraine) besuchten die beiden die Partnerbetriebe, um mehr über die Schwierigkeiten zu erfahren, mit denen sie in Kriegszeiten konfrontiert sind.

Von Lviv nach Poltava legten Nicolas Lefebvre und Toralf Richter in einer Woche nicht weniger als 1600 km zurück. Die Experten aus dem Departement für Internationale Zusammenarbeit des FiBL Schweiz besuchten ein Dutzend Produzent*innen, Verarbeiter*innen, Sammelstellen und Exporteur*innen, um so die Realität im Biosektor und im Projekt QFTP (mehr zum Projekt unten bei "Weitere Informationen") besser erfassen zu können. Wir haben Nicolas Lefebvre nach seiner Rückkehr zu seinen Eindrücken von der Reise befragt. 

Was sind die grössten Schwierigkeiten, mit denen die ukrainischen Landwirtschaftsbetriebe zu kämpfen haben?

Nicolas Lefebvre: Der Mangel an Arbeitskräften wurde von allen unseren Gesprächspartner*innen als das Problem Nummer 1 genannt. In der Tat fehlen 10 bis 30 Prozent der Arbeitskräfte in den Betrieben, unabhängig von ihrer Grösse. Die Männer, die an die Front geschickt wurden, sind teilweise durch Frauen und Rentner*innen ersetzt worden, aber das reicht nicht aus. Das zweite grosse Problem ist die Energieversorgung, die den Alltag auf den Landwirtschaftsbetrieben erschüttert, obwohl alle Landwirt*innen Generatoren angeschafft haben, um die häufigen Stromausfälle zu überbrücken, die in der Regel zwischen vier und sechs Stunden dauern. Darüber hinaus haben sich die Energiepreise mehr als verdoppelt, was natürlich nicht ohne Auswirkungen auf ihr Einkommen bleibt.

Sind vermintes Gelände sowie die Verfügbarkeit von Bauteilen, Maschinen und Betriebsmitteln keine Produktionshemmnisse?

Überraschenderweise nicht – zumindest nicht in den Regionen, die wir besucht haben, obwohl die Produktionskosten durch die Abwertung der ukrainischen Währung in die Höhe geschossen sind. Unsere Gesprächspartner*innen beanstandeten jedoch alle den starken Protektionismus Polens gegenüber ihnen und dass sie in ihren Handelsmöglichkeiten behindert werden. Es ist nicht ungewöhnlich, dass ukrainische Lastwagen, die Rohstoffe nach Europa transportieren, bis zu zwei Wochen lang an der polnischen Grenze festsitzen. Die fehlende regionale Solidarität drückt auf die Moral und den Alltag der ukrainischen Landwirt*innen.

Wie geht es dem Biosektor in der Ukraine?

Man muss zugeben, dass Bio auf dem heimischen Markt für die ukrainischen Bevölkerung absolut kein Thema mehr ist. Dies ist eine grosse Sorge für die zertifizierten Erzeuger*innen, die Mühe haben, ihren Marktanteil zu verteidigen. Ausserdem gibt es bei einigen Waren kaum noch einen Preisunterschied zwischen Bio und konventionell. Das Überleben des ukrainischen Biosektors steht also eindeutig auf dem Spiel.

Ausserdem haben die etablierten Importeure seit Beginn des Krieges vor fast drei Jahren Bedenken, wie zuverlässig die Lieferungen aus der Ukraine sind – insbesondere was die Mengen betrifft. Und das wirkte sich eindeutig zu Ungunsten der ukrainischen Biobranche aus, auf allen Ebenen.

Dennoch muss man die unglaubliche Widerstandsfähigkeit der zertifizierten Erzeuger*innen hervorheben. Auch wenn die Kosten explodiert sind, auch wenn es wirtschaftlich nicht mehr wirklich Sinn macht, Bio zu produzieren, halten sie durch und halten an ihrem Label fest, aus Überzeugung, aus Verbundenheit mit ihren Werten.

Wo liegen die Handlungsprioritäten für Sie als FiBL Akteure, die die ukrainische Biobranche seit rund 20 Jahren begleiten?

Neben den Anstrengungen, die unternommen werden müssen, um den heimischen Markt zu erhalten, ist unserer Meinung nach derzeit eine agronomische Begleitung erforderlich. Die ukrainischen Biobetriebe, die unter Personalmangel leiden, brauchen technische Unterstützung, um weniger arbeitsintensive Produktionsmethoden einzuführen und gleichzeitig ihre Produktivität zu steigern.

Interview: Claire Berbain

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Das Projekt QFTP

Die Ziele des Projekts QFTP (auf Deutsch Programm für hochwertigen Lebensmittelhandel in der Ukraine) sind die Förderung des nachhaltigen Handels und die Schaffung von mehr und besseren Arbeitsplätzen im Bio- und Milchsektor der Ukraine. Dies versucht man durch die Stärkung der unternehmerischen Wettbewerbsfähigkeit und der Kapazitäten von kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) zu erreichen. Das Projekt wird vom FiBL geleitet, weitere Partner sind die Safoso AG, das Swiss Import Promotion Programme SIPPO, IFOAM Organics International sowie das Bioinstitut Tschechien.