Bernard Lehmann ist seit 2022 Stiftungsratspräsident des FiBL Schweiz. Von 2011 bis 2019 war er Chef des Schweizer Bundesamts für Landwirtschaft BLW, zuvor über 20 Jahre Professor für Agrarökonomie an der ETH Zürich. Bei den Vereinten Nationen engagiert er sich im High Level Panel of Experts on Food Security and Nutrition sowie im Vorstand des Global Crop Diversity Trust. Zudem ist er Vorsitzender der Plattform Wissenschaft und Politik der Schweizerischen Akademien der Wissenschaften.
Sie sind nun seit gut einem Jahr Präsident des FiBL Stiftungsrates, seit 2019 sind Sie Mitglied dieses Gremiums. Wie fällt Ihre Bilanz aus?
Ich habe das Amt mit grossem Respekt angenommen, weil es mit Verantwortung verbunden ist. Das betrifft den finanziellen Rahmen, aber auch das Engagement im Fall einer Krise, wie wir sie mit dem Abgang im Direktorium gehabt haben. Ich glaube, in dieser Krise haben wir – alle zusammen – die richtigen Schritte für die Zukunft eingeleitet.
Das FiBL ist stark gewachsen und steht dank der Grundfinanzierung des Bundes auf soliden Füssen. Trotzdem: Wo drückt in Frick der Schuh?
Wenn man schnell wächst, wachsen auch die Herausforderungen, und es werden mehr systematische Ansätze nötig. Mit über 300 Angestellten muss sich die Administration vereinheitlichen, was ein Prozess ist.
Welche Visionen sehen Sie für die Zukunft des Instituts?
Das FiBL soll gute Lösungsansätze für die Biolandwirtschaft der Zukunft erforschen. Es kennt sein Zielpublikum, die Biobauern und -bäuerinnen. Aber auch die übrige Landwirtschaft, die Politik und die Ernährungswirtschaft interessieren sich für die Ergebnisse. Das nehmen wir auf in eine erneuerte Strategie. Spricht die ganze Welt von Agrarökologie, muss man sich auch positionieren und zeigen, wie weit man schon ist. Konkret besagt unsere Strategie, dass wir ein Institut für ein agrarökologisches Modell sind, das Bio heisst. Bei den Vorgaben der Agrarökologie ist Bio in allen Achsen bereits sehr weit.
Wie ist Ihr erster Kontakt zum FiBL zustande gekommen?
Ende der 1980er-Jahre arbeitete ich beim Schweizer Bauernverband, als Henri Suter vom FiBL zu uns kam, um "die grüne Innovation" einzubringen. Später konnte ich mit Otto Schmid vom FiBL eine gemeinsame Vorlesung an der ETH halten. Im Verlauf der Zeit kamen weitere Kooperationen zustande, etwa mit dem früheren FiBL Chef Urs Niggli oder dem ehemaligen Leiter Sozioökonomie Matthias Stolze. So gab es neue Kooperationen, wie sie bereits mit Agroscope bestanden.
2011 wurden Sie Direktor des Bundesamts für Landwirtschaft BLW, 2019 wurden Sie pensioniert. Aber Ruhestand kennen Sie nicht; neben dem FiBL wirken Sie in mehreren Gremien mit. Was treibt Sie an?
Meine Pensionierung fiel mit der Pandemie zusammen, es war alles irgendwie abgestellt. Dann kamen die Anfragen, bei allen meinen vier Engagements. Beim FiBL war es so, dass ich die Institution über die Jahre liebgewonnen habe. Wenn ich mich um Themen wie Mangelernährung und Lebensmittelsicherheit kümmere, ist das auch, um ehrenamtlich etwas zurückzugeben von den vielen Inputs, die ich erhalten habe. Am FiBL wiederum habe ich eine besondere Führungsrolle, die ich äusserst partizipativ wahrnehme; ich würde es eher mitgestalten und Verantwortung tragen nennen.
Wie war es, vom BLW mit Schwerpunkt konventionelle Landwirtschaft auf Bio und das FiBL umzustellen?
Das BLW hat vom Parlament längst die Zielsetzung erhalten, die Landwirtschaft in Richtung Bio zu bewegen. Es läuft also eher so, dass die Konventionellen sich schrittweise umstellen müssen. Es gab und gibt immer mehr agrarökologische Ansätze und daran angepasste Beitragsformen.
Sie waren ETH-Professor für Agrarökonomie, haben sich aber immer auch für Agrarökologie stark gemacht. Warum?
1996 haben wir an der ETH diese Fachrichtung eingeführt, was anfangs wenig Interesse weckte. Heute ist das anders, die Agrarökologie ist mit dreizehn Dimensionen sehr etabliert und auch umfassend, sechs davon sind ökonomischer Art. Es geht um die Wertschöpfungsketten, die Preisbildung, die Nachhaltigkeit. Die Agrarökologie ist eine Einladung, einen Weg zu gehen, der wegführt vom Istzustand. Viele Menschen in der Landwirtschaft im globalen Süden haben keine Rechte, sind Taglöhner. Wir haben auch ein grosses Genderproblem: Die Frauen arbeiten, aber sie haben wenig oder nichts zu entscheiden. Agrarökologie ist ein grosses Vehikel für die drängendsten Fragen und eigentlich alternativlos; es führt kein Weg an ihr vorbei.
Wir sind alle gefordert, klimaneutral zu werden. Sind wir mit Bio auf dem richtigen Weg?
Schauen wir auf die Kalorien, die der Ackerbau global produziert, dann ist das doppelt so viel wie am Ende verbraucht wird. Food Loss und Food Waste sind ein grosses Problem. In der nördlichen Welt gehen sechzehn essbare Pflanzen für Treibstoffe und Heizenergie weg, das ist nicht gut. Dreissig Prozent gehen weg als Futter für Tiere, was auch nicht sinnvoll ist. Letztlich braucht es entlang der ganzen Kette vom Feld bis zum Teller ein anderes Bewusstsein. Auf diesem Hintergrund sind Produktionsverfahren wie Bio, die ertragsmässig etwas tiefer liegen – aber die Umwelt massiv mehr schonen – der richtige Weg.
Das Klimaproblem kann man nur global lösen, die Ernährungssicherheit auch. Ist der Einfluss der Schweiz oder des FiBL da nicht völlig unbedeutend?
Das FiBL bewirkt viel, weil es sehr erfolgreich publiziert. Wir sprechen von etwa 90 hochrangigen Publikationen pro Jahr, also solchen, die verwendet und zitiert werden. Die Welt braucht das FiBL als Vermittler von Wissen. Dabei arbeitet jedes Departement intensiv mit Partnern in der Schweiz und anderswo zusammen. Aber vielleicht könnte das FiBL die interne Zusammenarbeit noch verstärken und Themen definieren, bei denen mehrere Departemente zusammenspannen. Dann könnte das Institut auf komplexe Fragen sichtbarer Antwort geben. Das FiBL darf ruhig etwas sichtbarer werden.
Ihre Stiftungsratspräsidentschaft wird vom ganzen FiBL sehr geschätzt. Wie lange bleiben Sie?
Es handelt sich um eine befristete Zeit. Wir haben vor meiner Kandidatur darüber diskutiert. Wir werden dementsprechend gemeinsam den richtigen Zeitpunkt für die Ablösung finden. Momentan freue ich mich sehr, diese Aufgabe wahrzunehmen. Ende dieses Jahres gebe ich eines meiner beiden UNO-Mandate ab, und zwar das Amt im High Level Panel of Experts on Food Security and Nutrition. Dann habe ich mehr freie Zeit, worauf ich mich freue.
Interview: Beat Grossrieder und Sabine Reinecke, FiBL
Dies ist die gekürzte Version eines Interviews, das in der Ausgabe 9/23 des Magazins Bioaktuell erschienen ist. Dieses ist als PDF verfügbar.
orgprints.org: Interview "Die Welt braucht das FiBL" aus dem Magazin Bioaktuell 9/23