Lukas Pfiffner ist promovierter Agrarökologe und forscht seit über 30 Jahren am FiBL Schweiz zum Thema Biodiversität in der Landwirtschaft. Wie sich unterschiedlich Anbaumethoden lokal und in der Landschaft auf die Biodiversität, insbesondere auf wichtige Organismen wie Nützlinge, Bestäuber und Regenwürmer auswirken, interessiert ihn besonders.
Die politische Luft in der Schweiz ist zurzeit sehr dünn für die Biodiversität, was läuft da schief?
Lukas Pfiffner: Es läuft sehr vieles schief, vor allem in der Wahrnehmung, was die Biodiversität leisten kann. Wir müssen einen Rückschritt in die Zeit vor 1990 feststellen. Viele unterstützen wieder ein reines Ertragsdenken statt eine Systemstrategie für eine multifunktionale Landwirtschaft, so wie sie die Bundesverfassung verlangt. Dies behindert die dringend nötige Transformation zu ressourcenschonender und resilienter Bewirtschaftung.
Warum ist es zu diesem Rückschritt gekommen?
Dafür gibt es diverse Gründe: Kurzfristig haben die Corona-Situation, die Inflation, die Produkte-Verknappung durch Lieferkettenprobleme und der Ukrainekrieg die Rahmenbedingungen stark verändert. Da greifen gewisse Kreise zu einfachen, schnellen Scheinlösungen, um den Status-quo zu konservieren. Häufig geht im politischen Prozess die Gesamtsicht verloren. Bei der Biodiversitätsförderung geht es ja nicht nur um Artenvielfalt und Naturschutz, sondern darum, ein modernes, produktives Anbausystem zu entwickeln, das gesunde, unbelastete Lebensmittel erzeugt und möglichst wenig Kollateralschäden in der Umwelt und beim Menschen verursacht.
Mit den mindestens 3,5 Prozent Biodiversitätsförderflächen, kurz BFF, im Ackerland hätte die Schweiz ein Werkzeug gehabt, um die Situation zu verbessern. Nun hat das Parlament das Obligatorium abgelehnt. Hat die Biodiversität eine zu schwache Lobby?
Sicher! Biodiversitäts-, Landschafts- und Naturschutz haben politisch kaum Einfluss. Umweltanliegen werden oft als Partikularinteressen angeschaut. Das sind sie aber nicht. Sie beeinflussen das Individuum wesentlich und sind wichtig für die Wohlfahrt. Die 3,5 Prozent BFF und ihre missglückte Umsetzung sind ein Desaster, welches das Vertrauen in die Behörden schwächt und denjenigen Kreisen Auftrieb gibt, die behaupten, dass wir keine Biodiversitätskrise haben. Das ist fast grobfahrlässig und jenseits der Fakten. Es gibt diverse Studien, die ein Massensterben von diversen Ökosystem-relevanten Organismen belegen. Ein Beispiel: Die Insekten-Biomasse ist in Deutschland in den letzten 24 Jahren um 95 Prozent gesunken. Als Folge ist viel zu wenig an funktionsfähiger Biodiversität vorhanden, was zentrale Ökosystemleistungen schwächt und die Produktivität reduziert.
Wie gross ist der Anteil der Landwirtschaft an der Krise?
Der Anteil der Landwirtschaft an den lokalen Umweltbelastungen ist sehr gross. Wir wissen, dass in den 1970er Jahren die Anbauintensität im Ackerbau, in den Spezialkulturen aber auch im Grünland stark zugenommen hat. Umfangreiche Kollateralschäden vor allem im Boden und in den Gewässern hat man lange ignoriert. Heute gehen wir teils in eine ähnliche Richtung. Die Folgen der langjährigen Anwendung der Hilfsstoffe wie Pestizide und Dünger erhalten zu wenig Beachtung: Schädigung von Ökosystemleistungen, Belastung von Gewässern, Wald und Naturschutzflächen sowie instabile und wenig resiliente Anbausysteme. Die BFF in der Landwirtschaft sind zwar ein positiver Faktor, können den Verlust aber nicht ausgleichen. Speziell betroffen sind Gewässer mit beträchtlichen Kostenfolgen für die Aufbereitung von Trink- und Grundwasser.
Ist die Biodiversitäts-Initiative, über die wir in der Schweiz im September abstimmen überladen? Sie fordert ja nicht nur eine stärkere Förderung der Biodiversität, sondern will auch die Bautätigkeit einschränken.
Das mag sein. Aber das Grundproblem sind die konservativen Gegner der agrar-ökologischen Transformation der Landwirtschaft. Die wehren sich gegen jede Verbesserung des Systems. Dabei ist ein Ausbau von ökologischen Direktzahlungen, primär für die Honorierung gemeinwirtschaftlicher Leistungen sinnvoll und zukunftsweisend. Dazu gehört auch eine Anpassung des ÖLN (ÖLN = Ökologischer Leistungsnachweis, Mindeststandard für die Schweizer Landwirtschaft, Anmerkung der Redaktion) mit weiteren, klaren Qualitätsanforderungen.
Sind die Biobauern und -bäuerinnen genügend sensibilisiert für die Biodiversität?
Ich hoffe, dass es nur eine kleine Minderheit der Biobauern und -bäuerinnen ist, die noch nicht versteht, dass gesamtbetriebliche Biodiversität eine ebenso wichtige Produktionsgrundlage des Biolandbaus ist, wie die Bodenfruchtbarkeit. Die Flächenproblematik, also die Konkurrenz Produktion versus BFF sehe ich auch, aber die funktionelle Biodiversität gehört ins System. Sie kann die Produktion in vielen ökologischen Funktionen signifikant unterstützen und die Resilienz verbessern. Dies ist für Biobetriebe besonders wichtig, weil sie weniger Hilfsstoffe zu Verfügung haben und weniger davon einsetzen.
Was kann das FiBL dazu beitragen, die Politik und die Gesellschaft aufzuwecken?
Wir müssen die existentiellen Werte der Biodiversität im Naturhaushalt, die Rolle des Biolandbaus und die vielfältigen Kollateralschäden verringerter Biodiversität noch breiter kommunizieren und mit wichtigen Akteurinnen und Akteuren in der Landwirtschaft diskutieren. Es gilt, unser Agrar- und Ernährungssystem umfassender zu betrachten und die Auswirkungen auf die natürlichen Ressourcen zu benennen. Hier ist der Biolandbau ein Teil der Problemlösung und kann dazu vieles beitragen. Zentral bleibt es, die Publikumsmedien mit unseren Informationen und Fakten zu versorgen.
Interview: Adrian Krebs, FiBL