Artenreiche Alpweiden sind für Kühe das, was moderne Einkaufszentren für die Menschen sind: ein duftender Supermarkt mit Tabakshop und Apotheke. Die grosse Vielfalt an Kräutern auf diesen Wiesen bringt eine ebenso grosse Vielfalt an Gerüchen, Geschmäcken, giftigen und hilfreichen Wirkstoffen mit sich. Viele Wirkungen der Kräuter, Früchte, Wurzeln oder auch Baumrinden sind den Bäuerinnen und Bauern von alters her bekannt, sie behandeln damit sich selbst und ihre Tiere. Seit mehreren Jahren sammelt der FiBL-Tierarzt Michael Walkenhorst mit Studierenden der Pharmazie in "ethnoveterinärmedizinischen" Forschungsarbeiten dieses Wissen, ordnet es und publiziert es in wissenschaftlichen Artikeln. Das traditionelle Wissen soll für die Nachwelt erhalten bleiben und der Veterinärmedizin als Wissensbasis über Arzneipflanzen dienen.
Langzeitstudie zeigt: Pflanzliche Wirkstoffe verbessern die Gesundheit
Auch experimentell untersuchen wir am FiBL die veterinärmedizinischen Potenziale der pflanzlichen Wirkstoffe. Im Jahr 2020 konnten wir eine wichtige Langzeitstudie zur gesundheitlichen Wirkung von kräuterreichen Ergänzungsfuttermitteln für Milchkühe publizieren. Die Studie zeigte vor allem eine deutliche positive Wirkung auf die Eutergesundheit: Die Fälle von erhöhten Zellzahlen gingen um mehr als 20 Prozent zurück. In einer weiteren Untersuchung erwiesen sich Kräuterextrakte als geeignet, um Milchkühe in kritischen Stoffwechselsituationen zu stabilisieren. Ein wichtiger Aspekt sind auch antiparasitäre Wirkungen. Unter anderem können Tannine, welche zum Beispiel in der Futterleguminose Esparsette enthalten sind, die Magen-Darm-Parasiten von Schafen und Ziegen hemmen. An diesem Thema arbeiten seit vielen Jahren die FiBL-Forschenden Veronika Maurer, Felix Heckendorn und Steffen Werne. In den letzten zwei Jahren ist die Forschung im Rahmen des EU-Projektes Relacs auf das Heidekraut ausgeweitet worden. Unter der Leitung von Hannah Ayrle setzen wir auch beim Geflügel experimentell Kräuter ein – etwa Koriander, Knoblauch und Pfefferminze –, um ihre gesundheitsfördernde Wirkung zu überprüfen.
Vielfalt der Geschmäcke auch für das Tierwohl wesentlich
Es braucht gar nicht immer Forscherinnen und Forscher, um herauszufinden, was wann hilft oder schadet: Die Tiere wissen es in vielen Fällen selbst. Gerade für Schafe und Rinder ist vielfach bewiesen, dass sie durch gezielte Aufnahme wirkstoffreicher Pflanzen – oder aber durch gezieltes Vermeiden – ihren Stoffwechsel steuern und so die bakterielle Fermentation in ihren Vormägen im Griff behalten können. Es lässt sich daraus schliessen, dass dies auf ausgeprägter Differenzierungsfähigkeit für Geschmäcke und Gerüche beruht, dass die Kühe also Feinschmeckerinnen sind und auch tief verwurzelte entsprechende Bedürfnisse haben. In mehreren Forschungsprojekten zur Vielfalt in der Fütterung befassen wir uns mit diesem tierwohlrelevanten Thema. 2020 haben wir am FiBL ein "Weidelabor" angelegt, in dem in Zukunft in Zusammenarbeit mit dem Gut Rheinau das Wahlverhalten von Kühen auf artenreichen Wiesen erforscht werden soll, um daraus Fütterungsempfehlungen abzuleiten.
Nachhaltigere Tierhaltung durch Kräuter?
Auch in Bezug auf die Nachhaltigkeit haben die sekundären Pflanzeninhaltsstoffe positive Effekte. So können sie in bestimmten Fällen den Eiweissstoffwechsel der Milchkühe verbessern und damit Emissionen verringern. Die Dissertation von Alexandra Kapp, die das FiBL gemeinsam mit der ETH Zürich betreut hat, konnte dies insbesondere für den Kleinen Wiesenknopf zeigen. Das Kraut aus der Familie der Rosazeen senkte die Stickstoffverluste über den Harn der Kühe um bis zu 30 Prozent. Deshalb werden wir diese Pflanze auch künftig in unsere Forschung einbeziehen und unter anderem ihre Anbaueignung untersuchen. Forschung muss immer auch bereit sein anzuerkennen, wenn sich Hypothesen nicht bestätigen. So konnten wir eine positive Wirkung der Esparsette auf den Eiweissstoffwechsel weder bei Ziegen noch bei Milchkühen nachweisen. Auch solche Ergebnisse behalten wir nicht für uns, sondern publizieren sie. Die sekundären Pflanzeninhaltsstoffe bleiben ein enorm wichtiges Thema im Departement für Nutztierwissenschaften. Sie sind ein Bindeglied, das von botanischer Biodiversität über die Gesundheit und das Wohlbefinden der Tiere bis hin zur Nachhaltigkeit reicht – und damit ein hervorragendes Beispiel für das One-Health-Prinzip: Gesundheit muss ganzheitlich gesehen werden.
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