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"Es ist diese kreative Atmosphäre"

Stimmen zum 50-Jahr-Jubiläum

Mirjam Holinger ist mit Unterbrechungen seit 2008 am FiBL Schweiz. Ihre "FiBL Karriere" startete mit Praktikum und Masterarbeit. Heute ist sie Co-Leiterin der Gruppe Tierhaltung & Tierzucht und Gleichstellungsbeauftragte. Der Fokus ihrer wissenschaftlichen Arbeit liegt beim Tierwohl.

Was hat Sie ursprünglich ans FiBL geführt?

In einem der ersten Semester meines Bachelor-Studiums Agrarwissenschaften an der ETH Zürich haben wir dem Tierspital Zürich einen Besuch abgestattet. Dort habe ich erstmals eine fistulierte Kuh* gesehen. Ich konnte das für mich nicht einordnen. Also habe ich angefangen, darüber zu recherchieren und bin dabei aufs FiBL und auf Anet Spengler gestossen. Ich schrieb ihr eine E-mail, das war 2006 oder 2007. Ich habe sie gefragt, wie sie zu dieser Fistelkuh steht, worauf eine lange Antwort von ihr zurückkam. Sie schrieb, wie wichtig diese Kuh für die Forschung und auch für die Behandlung anderer Kühe mit Pansensaft sei. Gleichzeitig räumte sie ein, dass dies ein massiver Eingriff sei. Ich fand toll, dass ich eine so umfangreiche und abwägende Antwort erhielt.

2008 kamen Sie als Praktikantin ans FiBL. Was hat sich seither verändert?

Damals war alles viel kleiner und jede kannte noch jeden. Ob das besser oder schlechter war, will ich gar nicht beurteilen. Es war einfach anders. Das grosse personelle Wachstum kam erst in den letzten drei Jahren. Ich war aufgrund des Doktorats an der ETH Zürich einige Jahre weg vom FiBL und bin seit 2019 wieder hier. Die Veränderungen, die seither stattfanden, sind spannend. Und es sind nach wie vor einfach viele tolle Leute am FiBL.

Vermutlich mit ein Grund, um ans FiBL zurückzukommen …

Ja, ganz klar. Die Menschen am FiBL waren für mich immer ein wichtiger Punkt. Es ist aber noch mehr als das. Es ist diese kreative Atmosphäre, die mir so gefällt. Man hat sofort den Eindruck, man könne hier etwas aktiv mitgestalten. Man darf weiterdenken und wird dabei selten gebremst.

Heute sind Sie wissenschaftliche Mitarbeiterin im Bereich Schweinehaltung. Wie sind Sie ausgerechnet aufs Schwein gekommen?

Das war vor allem Zufall. Für meine Masterarbeit bin ich ans FiBL zurückgekommen. Diese Arbeit fand im Rahmen des "Feed no Food"-Projekts im Rindviehbereich statt. Schweine hatten mich damals noch gar nicht interessiert. Doch nach meiner Masterarbeit startete ein neues Projekt zum Thema Ebermast, also Mastschweine, bei denen man auf die Kastration verzichtet. In dieses Projekt bin ich eingestiegen und bei den Schweinen geblieben. Ich fand schon immer, dass Schweine zu wenig Aufmerksamkeit bekommen, da man sie fast nie sieht. Mir ist es bei allem immer um das Tierwohl und eine gute Tierhaltung gegangen.

Denken Sie, dass wir in der Schweiz in der Bioschweinehaltung auf dem richtigen Weg sind?

Grundsätzlich ist die Schweizer Schweinehaltung im Vergleich zu einem grossen Teil des europäischen Auslands klar besser. Dies hängt vor allem mit den strengeren Tierschutzvorschriften zusammen, wie zum Beispiel die obligatorische Betäubung bei der Kastration. Auch das Platzangebot ist besser. Die Frage ist halt immer, was als Massstab dient. Bio ist in Bezug auf die Haltungsvorschriften vergleichbar mit anderen Labels wie Coop Naturafarm oder IP Suisse. Allerdings ist bio mehr: Bioschweine bekommen auch Biofutter und so weiter. Und trotzdem werden wir uns in Zukunft mit der Frage auseinandersetzen müssen, wie wir die Haltung und auch die Fütterung weiterentwickeln können.

Vor gut einem Jahr haben Sie zusammen mit Anet Spengler die Co-Leitung der Gruppe Tierhaltung und Tierzucht am FiBL übernommen. Wie erleben Sie diese neue Aufgabe?

Ich schätze es, dass ich das gemeinsam mit Anet machen kann. Wir haben anlässlich einer Retraite letztes Jahr feststellen können, dass alle Gruppenmitglieder recht ähnliche Wertvorstellungen in Bezug auf die Tierhaltung haben. Das ist eine wertvolle Basis für die Zusammenarbeit.

Sie sind zudem Gleichstellungsbeauftragte am FiBL. Wie kam es zu diesem Engagement?

Als 2020 die Direktion neu besetzt wurde, habe ich angefangen, mich mit diesem Thema stärker zu beschäftigen. Erstmals wurde das FiBL von einer Dreierdelegation geführt und diese bestand aus drei Männern. Viele Frauen am FiBL und auch ich waren irritiert. Eine gewisse Diversität ist wichtig für gute Entscheide. Da gibt es also eine Lücke, denn im Studium hat es einen ausreichend hohen Frauenanteil. Wie diese gläserne Decke zustande kommt, das hat mich interessiert. Seither versuchen wir, am FiBL für das Thema Gleichstellung zu sensibilisieren und zum Beispiel gezielt junge Frauen zu fördern, um später eben Führungsaufgaben zu übernehmen. Und mittlerweile ist ja auch eine Frau im Direktionsgremium vertreten.

Welche Wünsche an das FiBL haben Sie für die Zukunft?

Ich wünsche mir vor allem, dass das FiBL seine Dynamik behält und nicht zu stark in bürokratische Zwänge gerät. Dieses Risiko besteht, wenn eine Institution so stark wächst. Aus meiner Sicht gehört es zum Erfolgsmodell FiBL, dass vieles hier unkompliziert ist und es wenige Strukturen gibt. Es wäre schön, wenn das FiBL weiterhin Mut zeigt, Dinge anders anzugehen. Am FiBL können Experimente – real oder denkerisch – gemacht werden, die andernorts nicht möglich wären. Wir müssen weiterdenken und auch in Zukunft eine Vorreiterrolle einnehmen.

Interview: Ann Schärer

Dies ist eine gekürzte und leicht angepasste Version eines Interviews, das in der Ausgabe 3/23 des Magazins Bioaktuell erschienen ist. Dieses ist als pdf verfügbar.

* Bei einer Fistulierung erhält ein Hausrind operativ eine verschraubbare Öffnung aus Kunststoff als Verbindung zwischen Pansen und Aussenwelt. Diese dient dazu, den Panseninhalt zu prüfen beziehungsweise Komponenten zu entnehmen oder einzufügen. Vor allem dienen die Untersuchungen der Erforschung von Verdauungsvorgängen. Zudem lässt sich durch die Fistel direkt Pansensaft entnehmen. Einerseits für Untersuchungen im Labor, andererseits für therapeutische Zwecke bei anderen Kühen mit Verdauungsproblemen. (Quelle: Wikipedia)

Weitere Informationen

Download

Interview "Es ist diese kreative Atmosphäre" aus dem Magazin Bioaktuell 3/23 (217.3 KB)