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"Es muss immer wieder ein Perspektivwechsel eingenommen werden"

Stimmen zum Jubiläum

Von 2007 bis 2022 präsidierte Martin Ott den Stiftungsrat des FiBL Schweiz. Im Stiftungsrat war er über drei Jahrzehnte und in dieser Funktion auch lange Zeit Mitglied der Geschäftsleitung. Er war 40 Jahre als Demeter-Landwirt tätig und hat in dieser Zeit unter anderem die Biodynamische Ausbildung Schweiz mitaufgebaut. Zudem war Martin Ott als Musiker und Autor tätig und engagierte sich politisch auf Gemeinde- und Kantonsebene für die Grünen.

Über 30 Jahre habe ich als Stiftungsrat, als langjähriges Geschäftsleitungsmitglied und 16 Jahre als Stiftungsratspräsident das FiBL mitbegleiten dürfen, mitbestimmen dürfen, mitgestalten können.

Natürlich habe ich mich in all den Jahren vor grossen Entscheiden immer wieder gefragt: Was ist die Identität des FiBL? Was war der Grund für diese private Initiative und sind diese Gründe noch aktuell? Heute zeigt sich die Landwirtschaft völlig anders als damals. Am FiBL haben wir die Wachstumsgeschichte der ganzen Biobewegung geschickt und agil mitvollzogen und das Institut konnte entsprechend mitwachsen. Den grössten Teil der finanziellen Mittel erwirtschaftet das FiBL nach wie vor über Projekte von diversen Geldgebern. Dazu erhält das private Forschungsinstitut aufgrund eines grosszügigen Leistungsvertrages inzwischen 15 Millionen Franken pro Jahr vom Bund. Hat sich das FiBL angepasst, weichgespült und ist brav geworden, wie einige Vordenker oder Pioniere, vor allem ältere wie ich, immer wieder etwas vorschnell bereit sind zu behaupten?

Am Anfang war der DOK-Versuch, in dem biologische und konventionelle Methoden verglichen werden, und der bis heute läuft. 1976 war dies revolutionär, dahinter stand die Bereitschaft, die Praxis des Biolandbaus und seine Versprechungen, Hoffnungen und Erfahrungen wissenschaftlich zu bestätigen oder zu widerlegen. Dies ist geleistet, unzählige Veröffentlichungen, die es zum Teil bis in die renommiertesten wissenschaftlichen Publikationen geschafft haben, zeigen die Vorteile des Biolandbaus auf.

Inzwischen zeigt die gesellschaftliche Entwicklung aber auch etwas Anderes auf. Klimawandel, Bodenverlust, Erosion, Welternährung, Energiekrise usw. fordern auch vom Biolandbau neue Antworten. Dafür muss man den Biolandbau weiterentwickeln, aber welche Perspektive nimmt dabei das FiBL mit seinen Forscher*innen und Untersuchungen ein? Es reicht nicht den Biolandbau zu mögen, dem Spezialistentum in der Landwirtschaft die Ganzheitlichkeit entgegenzuhalten. Nein, es muss immer und wieder ein Perspektivwechsel eingenommen werden. Den Perspektivwechsel vom Menschen, der sich als alleiniges Subjekt auf der Welt aufführt und alles nimmt und manipuliert, was ihm gefällt hinzu einem mitfühlenden Subjekt unter anderen Subjekten. "Innerlichkeit" wissen wir inzwischen, ist nicht eine Eigenschaft welche nur den Menschen für sich beansprucht. Auch Pflanzen, Landschaften, Tiere, Gemeinschaften verfügen darüber.

Alles Fühlt! Die Krisen der Welt könnte man unter einem Begriff zusammenfassen: Es ist keine Wissenskrise, sondern eine Beziehungskrise. Wir haben die Beziehung zur belebten Natur verloren. Auch und vor allem in der Wissenschaft. Eine lebendige Beziehung benötigt aber eine Investition in einen Perspektivwechsel hin zum anderen lebendigen Subjekt und nicht zu einem toten Objekt, zu einer Sache.

So muss das FiBL aus meiner Sicht nicht den Weg wie die übliche Wissenschaft gehen. Nein, das FiBL muss die grossen Fragen der Landwirtschaft als Gespräch und Beziehung und schlussendlich aus der Perspektive der Natur selbst bearbeiten. Bodenfragen aus der Perspektive des Bodens, Pflanzenzüchtungsfragen aus der Perspektive der Pflanze. Es sind einseitig menschliche Verwertungs- und Manipulationsgründe, welche die Vorteile der neuen Gentechnik begründen. Der Mensch erreicht seine eigene Würde, indem er die Würde der Lebewesen schützt und steigert und nicht indem er sie beherrscht, manipuliert und verwertet.

Ich wünsche dem FiBL überaus offene Gespräche auf allen Ebenen für die Entwicklung einer Beziehungswissenschaft, immer neugierig, bereit aus dem Ptolemäischen Paradoxon zu lernen: Hunderte von Jahren war die Menschheit davon überzeugt, dass die Erde im Mittelpunkt des Sonnensystems steht. Nach dem Modell von Ptolemäus konnte man alle Planetenbewegungen von der Erde aus genauestens berechnen und präzise voraussagen und war trotzdem in einem falschen Weltbild gefangen.

Ich denke, das zukünftige FiBL wird beweisen müssen, dass der Mensch fähig ist, Antworten auf die drängenden Fragen der Landwirtschaft aus dem Standpunkt der Mitgeschöpfe zu beantworten. Streng wissenschaftlich und für jeden modernen Menschen nachvollziehbar, aber aus neuer Perspektive. Dann wird das FiBL weiter gedeihen und seine Berechtigung als privates Institut erhalten können. Sonst, denke ich, wahrscheinlich nicht.